Verhaltenskodizes, Transparenz
und Selbstregulierung:
Auf dem Weg zu einem doppelten Schutz
in der Europäischen Verbrauchergesetzgebung und Selbstregulierung
Einleitung
Die Organisation der Wirtschaft ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts
tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt. Mehr und mehr Unternehmen
agieren über die Grenzen ihres Heimatlandes hinweg (”Globalisierung”).
Im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Interesses steht heute nicht
mehr der Handel mit in der Industrie gefertigten Produkten, sondern
zunehmend das Angebot von Dienstleistungen (”Dienstleistungsgesellschaft”).
Und schließlich ist durch die rasante Entwicklung im Bereich
der Computer- und Netzwerktechnologien die ”Information”
nicht nur zum Gegenstand vielfältiger öffentlicher Diskussionen
(z.B. über die Informationsfreiheit oder den Schutz personenbezogener
Daten), sondern auch zu einem herausragenden Wirtschaftsgut geworden
(”Informationsgesellschaft”).
Allerdings gehen diese Änderungen naturgemäß für
alle Beteiligten mit erheblichen Unsicherheiten einher, die für
die weitere wirtschaftliche Entwicklung ein erhebliches Hindernis
darstellen. In Deutschland zeigt sich dies am deutlichsten an der
Entwicklung des sogenannten elektronischen Marktes, der für
den Markt für Finanzdienstleistungen von ganz besonderer Bedeutung
ist (vgl. Beitrag zu ”Möglichkeiten der Bezahlung und
der Finanzdienstleistungen im Fernabsatz”), sich trotz weit
vorangeschrittener Technik noch immer in einer ”Start-Up”-Phase
befindet. Auf der einen Seite wird die Nutzung von Diensten, die
über das Internet angeboten werden, von großen Teilen
der Verbraucher noch als tendenziell ”gefährlich”
eingeschätzt. Dementsprechend ist das Konsumverhalten der Bevölkerung
an dieser Stelle vergleichsweise zurückhaltend. Auf der anderen
Seite besteht aber auch bei den Unternehmen erhebliche Unsicherheit,
wie auftretende Konflikte zu lösen sind.
Diese Unsicherheiten könnten auf eher traditionelle Weise durch
den Gesetzgeber beseitigt werden. Durch den Erlass von Gesetzen,
die zugunsten der Verbraucher eine erhöhte Transparenz der
neuartigen Angebotsstruktur und zugunsten der Anbieter Rechtssicherheit
gewährleisteten, könnte insbesondere die weitere Entwicklung
des elektronischen Marktes erheblich vorangetrieben werden. Es entspricht
allerdings einem weit verbreiteten Konsens, dass die formale Gesetzgebung
eines Staates grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Prozessen,
die sich strukturell rapide und fortwährend ändern, kaum
gerecht werden kann. Aus diesem Grund wird insbesondere für
den elektronischen Markt vielfach vorgeschlagen, neben der klassischen
staatlichen Regulierung auf Selbstregulierungsmechanismen zurückzugreifen.
Dieser Gedanke findet sich auch in der Europäischen Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr (Richtlinie 200/31/EG
des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 8. Juni 2000).
Nach Art. 10 dieser Richtlinie sollen die Anbieter in den Mitgliedstaaten
nicht nur dazu verpflichtet werden, ihr Angebot nach bestimmten
Kriterien transparent zu gestalten. Vielmehr soll außerdem
gewährleistet sein, dass die Kunden umfassend über alle
Verhaltenskodizes informiert werden, denen sich der Anbieter unterworfen
hat. Und weitergehend will Art. 16 derselben Richtlinie Unternehmens-
und Verbraucherverbände ganz allgemein zur Ausarbeitung von
Verhaltenskodizes ermutigen.
1. Umsetzung der europäischen Vorgaben in Deutschland
Die genannten Vorgaben für den elektronischen Markt, anhand
dessen das Thema ”Verhaltenskodizes, Transparenz und Selbstregulierung”
hier beispielhaft erörtert werden soll, sind in Deutschland
vor allem in § 312e des Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
umgesetzt. Dort ist bestimmt, wie Anbieter, die sich ”zum
Zwecke des Abschlusses eines Vertrages über die Lieferung von
Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen eines Tele- oder
Mediendienstes (Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr)”
bedienen, ihr Angebot gestalten müssen: Nach § 312e Abs.
1 S. 1 Nr. 1 müssen dem Kunden ”angemessene, wirksame
und zugängliche technische Mittel zur Verfügung”
gestellt werden ”mit deren Hilfe der Kunde Eingabefehler vor
Abgabe seiner Bestellung erkennen und berichtigen kann”. Nach
Nr. 3 derselben Vorschrift hat der Anbieter die ”Bestellung
unverzüglich auf elektronischem Weg zu bestätigen”.
Nr. 4 bestimmt, dass dem Kunden die Möglichkeit verschafft
werden muss, ”die Vertragsbedingungen einschließlich
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss abzurufen
und in wiedergabefähiger Form zu speichern”. Und nach
Nr. 2 schließlich muss der Anbieter dem Kunden weitere Informationen,
die in der sogenannten ”Verordnung über Informationspflichten
nach Bürgerlichem Recht (BGB-InfoV)” näher beschrieben
sind, ”rechtzeitig vor Abgabe von dessen Bestellung klar und
verständlich mitteilen”. Zu diesen Informationen gehören
nach § 3 BGB-InfoV: 1. Informationen über ”die einzelnen
technischen Schritte, die zu einem Vertragsschluss führen”,
2. Informationen ”darüber, ob der Vertragstext nach dem
Vertragschluss von dem Unternehmer gespeichert wird und ob er dem
Kunden zugänglich ist”, 3. Informationen darüber,
wie der Kunde ”mit den gemäß § 312e Abs. 1
S. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Verfügung
gestellten Mitteln Eingabefehler vor Abgabe der Bestellung erkennen
und berichtigen kann”, 4. Informationen ”über die
für den Vertragsschluss zur Verfügung stehenden Sprachen”
und schließlich 5. Informationen ”über sämtliche
einschlägigen Verhaltenskodizes, denen sich der Unternehmer
unterwirft, sowie die Möglichkeit eines elektronischen Zugangs
zu diesen Regelwerken”.
2. Hauptprobleme
Die in der BGB-InfoV angesprochene Möglichkeit einer Selbstregulierung
durch Verhaltenskodizes spielt in Deutschland bislang kaum eine
ernst zu nehmende Rolle. Soweit solche Verhaltenskodizes existieren
werden diese zumeist von Unternehmensverbänden verfasst und
als eine Art Werbung oder Gütesiegel verwendet. Ein im Sinne
des Wettbewerbsrechts planmäßiger Verstoß gegen
die in der BGB-InfoV statuierte Informationspflicht ist daher im
Prinzip kaum denkbar. Und ebenso wenig ist vorstellbar, dass sich
Anbieter in derartigen Verhaltenskodizes Regelungen unterwerfen,
die grundsätzlichen Interessenkonflikten im Verhältnis
zu Verbrauchern angemessen Rechnung tragen. Auch die übrigen
zur Gewährleistung von Transparenz im elektronischen Geschäftsverkehr
gedachten Regelungen des § 312e BGB haben sich in der Praxis
als wenig hilfreich, zum Teil sogar als kontraproduktiv erwiesen.
Grund dafür ist vor allem, dass die Regelungen eher vage formuliert
sind und wesentliche Fragen ungeklärt bleiben. Wesentlich in
diesem Sinne ist vor allem die Frage, unter welchen Umständen
ein mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel angebahnter Vertrag
im Allgemeinen als von der Rechtsordnung geschlossen anerkannt wird.
In diesem Zusammenhang ist die faktische Tendenz vieler Anbieter,
einen bloßen ”Hyperlink-Click” oder das ”Nummern-Wählen”
als umfassendes Einverständnis zu interpretieren von kaum zu
unterschätzender Bedeutung. Tatsächlich scheint dieses
sich verbreitende Selbstverständnis eine gewisse Angst in der
Bevölkerung auszulösen, allein aufgrund fehlender Erfahrung
und/oder technischen Verständnisses unbeabsichtigt Verträge
zu schließen, und kann damit als eine wesentliche Ursache
für die Zurückhaltung vieler Verbraucher benannt werden,
den elektronischen Markt überhaupt zu betreten. In Deutschland
sind die Möglichkeiten der Bezahlung durch sogenannte Mehrwertdienste
das prominenteste Beispiel für diese Problematik (vgl. wiederum
Beitrag zu ”Möglichkeiten der Bezahlung und der Finanzdienstleistungen
im Fernabsatz” ). Vor diesem Hintergrund erscheinen manche
der in § 312e BGB angedeuteten Wertungen höchst fragwürdig.
Sollen – so wie es § 3 Nr. 1 BGB-InfoV (Art. 10 der Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr) nahe legt -
allein die Anbieter bestimmen, welche Schritte zu einem Vertragsschluss
führen? Und ist das Fehlen von Informationen über diese
Schritte nur eine Frage des intransparenten und daher (un-)lauteren
Wettbewerbs ohne Rechtsfolgen für das Vertragsverhältnis
zum Kunden (so in einem weiteren Sinne Heinrichs in: Palandt, BGB
§ 312e Rn 11)? Solche Wertungen stehen offenkundig im Widerspruch
zu einem ersichtlich von allen Rechtsordnungen anerkannten Rechtsgrundsatz:
Solange es an einer Transparenz fehlt, die es den Parteien ermöglicht,
ein Angebot zu prüfen und sich dafür oder dagegen zu entscheiden,
kommt ein rechtswirksamer Vertragschluss nicht in Betracht. Mit
anderen Worten: Rechtlich muss niemand Angst haben, heimlich zu
seinem Nachteil verpflichtet zu werden – auch nicht am elektronischen
Markt. Dass der Gesetzgeber dies versäumt hat klarzustellen,
scheint gegenwärtig eines der wesentlichen praktischen Probleme
zu sein. Praktische Probleme mit der Regulierung des elektronischen
Marktes über § 312e BGB haben sich allerdings auch in
solchen Fällen ergeben, in denen Kunden an einem Vertragsschluss
durchaus interessiert waren. Das OLG München (v. 15.11.02 -
19 W 2631/02) z.B. hatte zu entscheiden, ob ein im Internet veröffentlichtes
Angebot auch dann bindend ist, wenn der angegebene Preis weit unterhalb
des üblichen Preisniveaus liegt und meinte – offenbar
eher instinktiv als auf der Basis einer plausiblen Regel -, dass
das Angebot schlicht zu gut war, als dass der Kunde sich auf dessen
Wirksamkeit hätte verlassen können. In einem anderen Fall
hatte ein Kunde unmittelbar nach einer Bestellung über das
Internet eine bestätigende E-mail erhalten, beanspruchte auf
dieser Grundlage Erfüllung, verlor aber den Prozess, da das
Gericht der Auffassung war, er habe sich auf eine allein nach Maßgabe
der Verpflichtung in § 312e Nr. 3 BGB übersandte Bestätigung
nicht verlassen können (LG Gießen Gießen –
v. 04.06.03 - 1 S 413/02).
3. Mögliche Änderungen in der Regulierung
Die teilweise geradezu verwirrenden Regelungen des § 312e BGB
(vgl. auch Heinrichs in Palandt, BGB § 312e Rn 7) deuten insgesamt
darauf hin, dass der Gesetzgeber die Branche, für die er sich
insbesondere zugunsten der Verbraucher eine erhöhte Transparenz
wünscht, selbst nicht in jeder Hinsicht überblickt und
wohl auch nicht überblicken kann. Vor diesem Hintergrund wird
fraglich, ob die Möglichkeiten alternativer Regulierungsmechanismen,
die den am elektronischen Markt besonders deutlich gewordenen Änderungen
in Wirtschaft und Gesellschaft möglicherweise besser Rechnung
tragen könnten, durch die marginale Erwähnung in §
3 Nr.5 BGB-InfoV ausgeschöpft sind. In der Diskussion in Deutschland
ist, um den Schwächen der reinen Selbstregulierung durch Verhaltenskodizes
Rechnung zu tragen das Modell der ”Regulierten Selbstregulierung”
(Hoffmann-Riem, Multimediapolitik vor neuen Herausforderungen, in:
Rundfunk und Fernsehen 1995, S. 125) in die Diskussion eingeführt
worden. Im Folgenden soll gezeigt werden, welche verschiedenen Modelle
der Regulierten Selbstregulierung herausgearbeitet worden sind und
inwiefern eine Implementierung solcher Mechanismen für den
Verbraucherschutz am elektronischen Markt sinnvoll erscheint.
a) Modelle der regulierten Selbstregulierung
Regulierte Selbstregulierung meint vereinfacht gesprochen eine Selbstregulierung,
die in staatlich gesetztes Recht eingepasst ist bzw. auf rechtlicher
Grundlage erfolgt. Die Regulierte Selbstregulierung hat dadurch
im Vergleich zur reinen Selbstregulierung einen erhöhten Grad
an Verbindlichkeit, kommt aber im Idealfall ohne imperative Eingriffe
aus. Bei der praktischen Umsetzung eines solchen Ansatzes sind prinzipiell
drei Modelle denkbar. Erstens ist es möglich, Anbieter zur
Ausarbeitung bzw. Anerkennung eines Verhaltenskodex zu verpflichten.
Dieser Verhaltenskodex müsste bestimmten gesetzlich vorgegebenen
Kriterien genügen und durch eine Regulierungsinstanz zertifiziert
oder registriert werden. Dieses z.B. in Australien praktizierte
Modell kann man, weil die Registrierung des Kodes Kern der Regulierung
ist ”normzentriert” nennen (so: Schulz/Held Regulierte
Selbstregulierung als Form des modernen Regierens, 2002 http). Es
ist aber – zweitens - auch möglich, eine regulierende
Institution zum Mittelpunkt der Regulierung zu machen, die die Einhaltung
bestimmter staatlicher Ziele überwacht. Auch hier kann eine
auf gesetzlicher Grundlage erfolgende Registrierung oder Zertifizierung
der Institution einen besonderen Standard begründen (”organisationszentriertes
Modell”). Im Rahmen des ”Supervisionsmodells”
schließlich sollen imperative Eingriffe des Staates von vornherein
dadurch verhindert werden, dass den Unternehmen eine Beratung angeboten
wird, die über die staatliche Regulierung informiert und Wege
aufzeigt, Konflikte zu vermeiden. Dieses Modell findet sich praktisch
häufig in der Arbeit des Datenschutzes (”Auditing”).
b) Möglichkeiten der Implementierung
Bei der Implementierung einer regulierten Selbstregulierung in die
Rechtsordnung kommt der Frage nach dem Ziel der Regulierung eine
überragende Bedeutung zu. In dieser Hinsicht reicht es nicht
aus, pauschal auf den Schutz der Verbraucher zu rekurrieren. Vielmehr
muss untersucht werden, in welchen Bereichen die Etablierung von
Normen erforderlich und in welchen Fällen die Kontrolle vorhandener
Normen ausreichend ist. So kann etwa das sogenannte ”Supervisionsmodell”
per definitionem nur dann wirksam sein, wenn sich bestimmte Normen
in der Vergangenheit bewährt haben und über die Regulierung
lediglich gewährleistet werden soll, dass diese allgemein beachtet
werden. Das kann z.B. in solchen Fällen angenommen werden,
in denen Verbraucher oder Kunden im Allgemeinen kraft Gesetz über
ein Widerrufsrecht belehrt werden müssen. In vielen Fällen
fehlt es aber an solchen allgemein anerkannten Normen oder die wirtschaftliche
Entwicklung hat das Bedürfnis ergeben, bestehende Normen zugunsten
eines erhöhten Verbraucherschutzes zu ändern. Mit Blick
auf den elektronischen Markt in Deutschland fehlen – wie oben
gezeigt wurde – vor allem Regelungen über den Vertragsschluss.
In solchen Fällen würde die regulierte Selbstregulierung
die Gesetzgebung des Staates ersetzen. Dies ist nur im Rahmen des
“normzentrierten” Modells möglich. Jedenfalls aber
ist es notwendig, für eine solche alternative Regulierung eine
gesetzliche Grundlage zu schaffen. Das ist keineswegs einfach und
setzt aufwendige Vorarbeiten voraus. Allerdings ließen sich
Verbaucherschutzverbände z.B. als Zertifizierungsinstanz auf
diesem Wege aktiv in die Regulierung mit einbeziehen. Dies wäre
im Vergleich zur bisherigen Praxis, in der eine Kommunikation zwischen
Unternehmen und solchen Verbänden nur sehr bedingt stattfindet,
ein erheblicher Fortschritt.
|